Politisierter Konsum – konsumierte Politik

Call for Papers für die Tagung der Sektion Politische Soziologie und der AG Konsumsoziologie

Politik und Konsum sind vielfältig miteinander verschränkt. Die Tagung will die Relationen zwischen diesen Handlungssphären und ihren institutionellen Komplexen aus zwei Blickrichtungen beleuchten. Für Politisierungen des Konsums stehen nicht nur die jüngeren Auseinandersetzungen um BSE und andere Lebensmittelskandale, die zu einer Relevanzverschiebung des Konsums im Rahmen staatlicher Politiken geführt haben, oder die Boykott-Aktionen und Markenproteste der globalisierungskritischen Bewegungen. Ebenso kann auf die Legitimationsrelevanz des Konsums für die institutionellen Ordnungen politischer Gemeinwesen – ausgeprägt etwa in der Systemkonkurrenz zwischen der Bundesrepublik und der DDR – oder auf die Auswirkungen von Macht- und Statuskämpfen auf die Praktiken des Konsums verwiesen werden. Auf der anderen Seite bedient sich die Politik in vielen Bereichen (vom Wahlkampf über die Mediendarstellung bis zur Politiker-Selbstinszenierung) der Handlungs- und Kommunikationsmuster aus dem konsumtiven Bereich entwickelter Marktgesellschaften. Indem die Tagung auch dem Konsumismus in der Politik nachspürt, will sie das zeitdiagnostische und sozialtheoretische Potential einer ‘Soziologie des Konsums’ freilegen, deren Konzepte und Erklärungsansätze einen breiten Anwendungsbereich vorfinden.

Gerade in soziologischen Untersuchungen zur gegenwärtigen Vermarktlichung von gesellschaftlichen Handlungsfeldern, die zuvor einer Marktlogik weitgehend entzogen waren, verdient die Frage, inwiefern hier symbolische Praktiken, Entscheidungsroutinen und Lifestyle-Optionen Einzug erhalten, die wir der Konsumsphäre zurechnen, große Aufmerksamkeit. Die Politik ist hiervon – nicht zuletzt bedingt durch ihre massenmediale Vermittlung – in hohem Maße betroffen. Was die Politikwissenschaft als ‘Dealignment’, d.h. nachlassende Bindung der Wählerschaft primär mit negativen Kategorien diagnostiziert, bedarf der genaueren Analyse jener Orientierungs- und Selektionsmuster, mit denen Bürgerinnen und Bürger heute auf das politische Angebot zugreifen und reagieren. Dabei ist von einer Ausweitung jener Haltungen und Handlungsformen auszugehen, die im Zuge der Bedeutungsaushandlung zwischen Produzenten und Rezipienten auf Märkten für Konsumgüter ‘eingeübt’ und ‚erprobt’ werden – insbesondere auf jenen Märkten, die sich auf ‘symbolischen Konsum’ von ‘Markenzeichen’ spezialisiert haben. Das genaue Studium der Praktiken und Wandlungstendenzen des Konsums könnte sich hier als Schlüssel für das soziologische Verständnis der gegenwärtigen Veränderungsdynamik von Politik und Demokratie erweisen.

Genauso interessiert aber das Verhältnis von Politik und Konsum in der Gegenrichtung. Denn eine Soziologie des Konsums kann sich nicht auf verhaltenstheoretische Modelle der Wirtschaftswissenschaften und des Marketing beschränken, sondern muss die Praktiken der Konsumenten und Anbieter explorativ erforschen, um ihren Facetten, ihrem Bedeutungs- und Gestaltwandel gründlich nachzugehen. Hier dient der Bezug auf die Politik dazu, den Blick auf die Konsumpraktiken in verschiedene Richtungen zu öffnen: Nicht nur kann unter Gesichtspunkten der reflexiven Steuerung der Biographie, der laufenden Identitätsarbeit und der Körperpolitik die Zentralstellung, die der Konsum in der privaten Lebensführung gewonnen hat, in die erweiterte Perspektive einer ‘Politik der Lebensführung’ eingerückt werden. Vielmehr können auch die vergesellschaftenden oder vergemeinschaftenden Aspekte des Konsums daraufhin befragt werden, ob und wie sie das Politische in der erweiterten Sphäre markt- und medienvermittelter Kommunikation zur Geltung bringen. Die Untersuchung von Spuren des Politischen in den Praktiken des Konsums dient hier zur Aufhellung der Machtverhältnisse ebenso wie der normativen Integrationspotentiale einer Marktgesellschaft, in der die Konsumenten zu einer für die Stabilität ganzer Wirtschaftszweige maßgeblichen und von der Politik massiv umworbenen Bezugs- und Schlüsselgröße geworden sind.