“Verbraucherpolitik von unten”

Tagung der AG Konsumsoziologie
Zeit: 14.6.2019
Ort: TU Berlin
Organisation: Kai-Uwe Hellmann
Kein Teilnahmebeitrag
Teilnehmerzahl: max. 50 Personen
Gefördert durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV)

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Vorherige Anmeldung zwingend erforderlich, bitte bei Kai-Uwe Hellmann anmelden!

Verbraucherpolitik wurde in Deutschland seit ihrem Bestehen in den 1950er Jahren vorwiegend als ein Aktions- und Maßnahmenbündel verstanden und betrieben, das in erster Linie staatlicherseits initiiert und institutionalisiert wurde. Oftmals auch wurden von Staats wegen entsprechende Aufträge erteilt und Fördermodelle aufgesetzt, wodurch ein Erscheinungsbild entstand, als ob man es im Grunde nur mit einer durch die Makropolitik verordneten ‚Verbraucherpolitik von oben‘ herab zu tun hätte. Nicht daß in diesen zurückliegenden Jahrzehnten nicht auch immer wieder Versuche unternommen worden wären, verbraucherpolitische Anstöße aus der Mitte der Zivilgesellschaft – oft in Gestalt kleiner Bürgerinitiativen – zu geben. Und gerade in den letzten Jahren sind einige neue Verbraucherorganisationen entstanden, die ungleich basisnäher operieren.

Dennoch scheint sich bei den großen, regierungsnahen ‚Playern‘ im Feld, die schon jahrzehntelang im ‚Geschäft‘ sind, von der regierungsinternen Verbraucherpolitik ganz zu schweigen, der Eindruck festgesetzt zu haben, Verbraucherpolitik betreffe ein Politikfeld, das im Wesentlichen durch eine Kollaboration von Staat einerseits, sämtliche Verbraucher und Verbraucherinnen gleichermaßen vertretenden Verbraucherschutzorganisationen andererseits bestellt wird, während die vielen kleinen Verbraucherinitiativen, von einzelnen engagierten Verbrauchern oder Verbraucherinnen gar nicht erst angefangen, demgegenüber regelmäßig ins Hintertreffen geraten. Diese Perspektive bezieht sich größtenteils auf die Sicht auf und aus dem Zentrum der Politik heraus.

Diesem institutionell vorherrschenden Eindruck, es gäbe im Prinzip nur ‚Verbraucherpolitik von oben‘, die wirklich schlag- und durchsetzungsfähig sei, soll mit dieser Tagung ein Stück weit entgegengewirkt werden. Angeregt werden soll eine Art Perspektivenwechsel oder -ausweitung. Denn ebenso, wie man in den 1990er Jahren von „Demokratie von unten“ oder „Democracy from below“ sprach, kann heutzutage kaum mehr übersehen werden, daß es seit Jahren eine ‚Verbraucherpolitik von unten‘ gibt, die viele Tausende von hoch engagierten Individuen versammelt, organisiert, koordiniert. Sie handeln zumeist in vielen Kleinstgruppen und Netzwerken miteinander und gewinnen durch ihren unentwegten Aktionismus und Mobilisierungsdrang – hierfür paßt das Label ‚Subpolitik‘ von Ulrich Beck (1992) recht gut, andere sprechen von ‚Political Consumerism‘ – eine immer größere Einfluß- und Kommunikationsstärke.

Eine systematische, den Gesamtbestand erfassende Studie liegt zu diesen Graswurzelphänomenen zwar noch nicht vor. Gleichwohl sind in den letzten Jahren so viele Berichte, Interviews, Magazine, Onlineportale, Reportagen zu diesen zivilgesellschaftlich verankerten Initiativen veröffentlicht worden, daß weder deren schiere Existenz noch deren große Anzahl wie Themenvielfalt geleugnet werden können.

Zwei Aspekte sind für die Tagung ‚Verbraucherpolitik von unten‘ von besonderem Interesse. Zum einen soll es um die Frage gehen, was eigentlich von der zunehmenden Verantwortung, Verantwortbarkeit und Verantwortlichkeit der Verbraucher und Verbraucherinnen zu halten ist, die seit Jahren intensiv diskutiert wird. Denn ohne Zweifel gibt es die Tendenz, an die Verantwortungsfähigkeit und -bereitschaft der Verbraucher und Verbraucherinnen eindringlich zu appellieren – sofern diese nicht ohnehin selber von diesen vehement reklamiert wird, um darüber Einfluß zu nehmen, was und wie produziert, distribuiert und konsumiert wird, im Sinne einer ‚Politics in the Supermarkt‘ bzw. ‚Politik mit dem Einkaufswagen‘. Hier spielt auch die laufende Debatte um zeitgemäße Verbraucherleitbilder eine nicht unmaßgebliche Rolle, ob es etwa ‚Mündige Verbraucher‘ überhaupt noch gibt oder was von der Differenzierung nach verantwortlichen, vertrauenden und verletzlichen Verbrauchern und Verbraucherinnen zu halten ist. Ferner berührt diese Debatte die Frage, was der Konsum mit den Menschen macht, welchen Stellenwert ihm für die Lebensführung heutzutage zuzugestehen ist, ob Konsumieren nur eine Rolle unter vielen ist oder auch auf die Person als solche einwirkt, im Sinne von Identitätspolitik.

Zum anderen geht es um eine deutlich bessere, umfassendere, proaktiv betriebene Inklusion von mehr und mehr Verbrauchern und Verbraucherinnen in entsprechende verbraucherorientierte und -politische Initiativen und Maßnahmen. D. h. um deutlich mehr und bessere Aktivierung und Teilhabechancen und deren Ausgestaltung, Nachfrage und Nutzung, ob nun vom Staat oder der Zivilgesellschaft hervorgebracht. Hierzu gehören selbstverständlich auch mehr Ansprüche, Anrechte, Rechte. Wie werden solche Teilhabechancen wahrgenommen? Was macht mehr Teilhabe mit den entsprechenden Verbrauchern oder Verbraucherinnen? Und wie wirkt sich mehr Teilhabe auf die herkömmliche Verbraucherpolitik aus? Wird sie dort entsprechend beobachtet und berücksichtigt? Verwandte Labels für diesen Trend lauten mehr ‚Empowerment‘ oder ‚Enactment‘ der Verbraucher und Verbraucherinnen. Nicht zuletzt ist festzustellen, daß in vielen dieser Initiativen eine beachtliche Autonomie und Kreativität der Konsumenten und Konsumentinnen – ganz im Sinne der ‚Erfindung der Kreativität‘ von Andreas Reckwitz – zum Vorschein kommt, die es gesondert zu bedenken gilt.

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