Ausweitung der Markenzone

2. Wiesbadener Gespräche:

Interdisziplinäre Zugänge zur Erforschung des Markenwesens
Gefördert und finanziert von der Werner Reimers Stiftung

Das Markenthema ist ein Megathema. Dies betrifft nicht nur die Anzahl der Publikationen, die kaum mehr zu überblicken ist, sondern auch die Vielfalt an Positionen, die zu diesem Thema eingenommen werden. Bemerkenswert ist dabei vor allem, daß sich die Diskussion dieses Themas längst nicht mehr auf den engeren Bereich der Konsumgütermarken beschränkt. Vielmehr hat sie sich inzwischen auf sämtliche Märkte und darüber hinaus ausgeweitet. So werden auch Non Profit-Organisationen als Marken thematisiert und positioniert, und mittlerweile werden sogar einzelne Personen als Marke betrachtet – ganz davon abgesehen, welch hohen Stellenwert Marken im Leben vieler Kinder, Jugendlicher und selbst Erwachsener inzwischen einnehmen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen Marken als eine soziale Tatsache à la Emile Durkheim, da sie eine Art äußeren Zwang ausüben, dem sich der/die je einzelne nicht beliebig entziehen kann. Mit der Rede von Marken als soziale Tatsache ist zugleich eine Differenz gegenüber dem juristischen und dem ökonomischen Verständnis von Marken markiert. Während eine Marke im juristischen Sinne schon dann existiert, wenn der Markenschutz rechtlich erworben wurde, und die ökonomische Bedeutung von Marke sich zumeist darauf konzentriert, die Voraussetzungen für den Kommunikationserfolg einer Marke seitens der Unternehmen in Form von Name, Verpackung, Werbung und Vertrieb zu ermitteln, soll von Marke als sozialer Tatsache erst dann die Rede sein, wenn im Markt selbst, also bei den Verbrauchern, eine real nachweisbare Annahme und Anerkennung einer Markenbotschaft, die sog. “Verkehrsgeltung” vorhanden sind. Was dies genau bedeutet, ist bis heute umstritten, selbst für das Marketing und die Marktforschung, um von der Soziologie ganz zu schweigen, die das Markenthema bislang weitgehend ausgespart hat.

Ziel der Tagung ist es, Experten aus mehreren Disziplinen zu versammeln, um einerseits unterschiedliche Theorieperspektiven auf das Markenthema zur Diskussion zu stellen, andererseits um miteinander über diese Ausweitung der Markenzone im Sinne eines Trends zu sprechen, der noch keineswegs an sein Ende angekommen ist, und sich über die Chancen und Risiken dieser Entwicklung anhand konkreter Beispiele auszutauschen.

Ablaufplan:

Freitag, 8. Oktober 2004

10.00: Rüdiger Pichler
Begrüßung und erste Thesen

10.30: Kai-Uwe Hellmann
Ausweitung der Markenzone. Zur Einführung

11.00: Christian Scheier/Kay Koschel
Die Marke als Schlüsselreiz

12.00: Mittagspause

13.00 Jochen Wagner
Commercium admirabile: Die Marke als Ikone?

14.00: Lucia Reisch
Die “balance”-Markenstrategie: ein Experiment der Medialisierung der Nachhaltigkeit

15.00: Kaffeepause

15.30: Claudia Zerjeski
Die Marke als Exportschlager?
Zur Rezeption der Markenidee in der ehemaligen DDR

16.30: Helmut Schneider
Marken in der Politik

17.30: Kaffeepause

18.00: Klaus Klemp
Nachrichten aus dem Inneren einer Stadt im 21. Jahrhundert.
Probleme kommunaler Markenbildung

20 Uhr: Gemeinsames Abendessen in Wiesbaden

Samstag, 9. Oktober 2004

9.00: Elio Pellin/Elisabeth Ryter
Die Schweiz als Marke?

10.00: Stephan Klingelhöfer
Die Kosten der Marke

11.00: Kaffeepause

11.30: Dieter Herbst
Der Mensch als Marke

12.30: Fabian von Loewenfeld
Brand Communities und ihre Erfolgsfaktoren

13.30: Mittagspause

14.30: Klaus Merten
Marke als kollektive Fiktion – Probleme und Perspektiven

15.30: Kai-Uwe Hellmann
Markenbindung als Mobilisierungsmaßnahme.
Oder was kann die Markenforschung von der Bewegungsforschung lernen?

17 Uhr: Ende der Veranstaltung

20 Uhr: Abendveranstaltung in Frankfurt/M.

Abstracts

PD Dr. Kai-Uwe Hellmann: Markenbindung als Mobilisierungsmaßnahme. Oder was kann die Markenforschung von der Bewegungsforschung lernen?

Die Bewegungsforschung beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wie es zur erfolgreichen Mobilisierung von Menschen zum Zwecke der Bildung einer sozialer Bewegung kommt. Der Begriff der Mobilisierung spielt hierbei die zentrale Rolle und nimmt einen Gutteil der Forschung für sich in Anspruch. Denn eine soziale Bewegung lebt davon, daß sie sich bewegt, daß Menschen sich für ein bestimmtes Anliegen bewegen, sich dafür motivieren lassen, mitmachen, sich mit dem Bewegungsmotiv identifizieren und ihm verpflichtet fühlen. Kurzum: Ohne Mobilisierung keine Bewegung.
Diese entscheidende, ja existenzielle Funktion von Mobilisierung für soziale Bewegungen läßt sich nun analog übertragen auf das Phänomen der Markenbildung und Markenbindung. Denn auch Marken leben davon, daß sie “Anhänger”, sprich Kunden ausbilden, also Verbraucher dazu bewegen, sich für diese und keine andere Marke zu entscheiden, sich nur ihrer zu bedienen, am Besten ein Leben lang.
Das erklärte Ziel aller Markenpolitik ist nämlich Markenbindung: die Erzeugung von Markentreue. Und auch eine Marke lebt allein davon, daß es ihr erfolgreich gelingt, Verbraucher von sich zu überzeugen und für sich zu gewinnen. Insofern kommt es auch bei Marken auf Mobilisierung von Menschen an, und möglicherweise läßt sich die Gemeinschaft von Markentreuen ja als eine besondere Form von sozialer Bewegung beschreiben. Dieser Fragestellung geht der Vortrag in erster Linie nach.

Prof. Dr. Dieter Herbst: Der Mensch als Marke

In den vergangenen Jahren ist das Markenführungskonzept breiter und tiefer geworden (“Broadening and Deepening”; Meffert 2003). Ein Grund ist, dass sich die Bedingungen auf den Märkten für Dienstleistungen und Investitionsgütern jenen der klassischen Konsumgütermärkte angenähert haben – allem voran der harte Verdrängungswettbewerb. Aufgrund dieser Entwicklungen wird das Markenkonzept mittlerweile auch angewendet, um die Leistung von Menschen auf Märkten zu profilieren (Herbst, 2003). Zu diesen Leistungen gehören jene von Sportlern, Showstars, Politikern, Beratern, aber auch Wissenschaftlern.
Als zeitgemäßes Konzept der Markenführung gilt das der “Identitätsorientierten Markenführung” (Meffert/Burmann 1994). Das Ziel ist, der Leistungen von Menschen auf Märkten eine Persönlichkeit zu verleihen, die zu einem festgelegten Vorstellungsbild bei den Bezugsgruppen führt, anhand dessen diese Bezugsgruppen die Leistung sofort erkennen, von anderen Leistungen deutlich unterscheiden und begehrenswert finden, weil sie deren Wünschen und Erwartungen von allen angebotenen Alternativen am stärksten entspricht.
Sowohl in der klassischen Markenführung als auch beim Konzept des “Mensch als Marke” steht das Konstrukt des “Vertrauens” im Zentrum, um die langfristige Beziehung zwischen der Marke und dem Konsumenten sowie anderer internen und externen Bezugsgruppen zu erklären. Im Gegensatz zur Bedeutung, die das Vertrauenskonstrukt hat, steht die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Konstrukt: Nur begrenzt hat es bislang Eingang in die Wirtschaftwissenschaften gefunden und selbst in den Kommunikationswissenschaften steht die Beschäftigung mit dem Vertrauens-Konstrukt erst am Anfang.
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage, was Vertrauen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive für die Markenbildung und -führung bedeutet, wie Markenvertrauen entsteht und systematisch entwickelt werden kann.

Dr. Klaus Klemp: Nachrichten aus dem Inneren einer Stadt im 21. Jahrhundert. Probleme kommunaler Markenbildung

In mancherlei Hinsicht lässt sich das Image einer Stadt mit Phänomenen der Markenbildung vergleichen. Seit dem Hochmittelalter ist die Leistungsfähigkeit der Städte durch rechtliche und damit auch steuerrechtliche Determinanten definiert. In dieser Hinsicht besteht bis heute eine ausgeprägte Konkurrenzsituation der Kommunen untereinander, die sich aus der Anzahl der Stadtbewohner und der Einnahme von Gemeindesteuern möglichst potenter Unternehmen ableitet. Großereignisse, wie die Ausrichtung von Olympischen Spielen, politische Bedeutungsverschiebungen (Hauptstadtdiskussion in Deutschland) oder die Inanspruchnahme eines neuen kulturellen Images (Museumsufer Frankfurt) zeigen markenähnliche Strukturen.
Dennoch weicht das Gesamtstädtische von den Möglichkeiten der klassischen Markenbildung deutlich ab. Kommunen sind extrem komplexe Gebilde, die nicht nur über eine oft sehr lange und differente “Produktgeschichte” verfügen, sondern auch in extrem breite und häufig kontroverse Handlungsbereiche zerfallen (vom Sozialen über Wirtschaft, Verkehr, Kultur bis hin zu multiplen Ordnungssystemen). Die Vielzahl kommunaler Steuerungs- und Entscheidungsgremien sowie davon oft abweichende ökonomische und private Interessen und Initiativen innerhalb einer Stadtgesellschaft schließen die Möglichkeit zu einer gezielten Markenbildung weitgehend aus.

Dr. Stefan Klingelhöfer: Die Kosten der Marke

Die Marken der Unternehmen schaffen soziale Identitäten und Tatsachen, an denen sich nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Unternehmen selbst orientieren (müssen). Gerade für die Unternehmen sind Marken daher mit (Selbst-) Einschränkungen und Kosten verbunden, die aber überraschenderweise nicht, bzw. nur in spezifisch verwandelter Form, explizit thematisiert werden. In dieser Diagnose stecken, so die These, ein soziologisches Problem und seine sozialen Lösungen.
Die Diagnose, das Problem und die Lösungen des Problems werden schrittweise entfaltet. Dazu werden zunächst (1) die Kosten und Einschränkungen der Marke eingeführt. Daran anschließend werden (2) die Voraussetzungen, Funktionen und Formen ihrer (De-) Thematisierung analysiert. Diese Formen werden dann (3) auf das durch sie gelöste Problem bezogen, und schließlich (4) mit alternativen Möglichkeiten der Lösung dieses Problems verglichen und in Beziehung gesetzt.

Fabian von Loewenfeld: Brand Communities und ihre Erfolgsfaktoren

Brand Communities (Markengemeinschaften) sind in Mode gekommen. Immer mehr Unternehmen errichten online und/oder offline solche Communities, so z. B. Harley Davidson, Sony Playstation, Cortal Consors, Puschkin, Maggi, eBay, um nur einige zu nennen. Doch nicht immer ist der Aufbau einer Brand Community von Erfolg gekrönt. So scheiterte beispielsweise E.on nach eineinhalb Jahren bei dem Versuch, eine starke on-Community aufzubauen. Am 1. März 2004 wurde die Community-Plattform geschlossen. Es stellt sich somit die Frage nach den Erfolgsfaktoren von Brand Communities. Was müssen Unternehmen aber auch private Betreiber von Brand Communities beachten, um langfristig erfolgreich zu sein. Im Rahmen eines Dissertationsprojektes an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz wurde dieser Frage nachgegangen, wobei die bis dato größte quantitative Brand-Community-Studie auf der Website www.brand-communities.de durchgeführt wurde. Die Ergebnisse werden im Vortrag präsentiert.

Prof. Dr. Klaus Merten: Marke als kollektive Fiktion – Probleme und Perspektiven

- Abstract folgt -

Elio Pellin/Elisabeth Ryter: Die Schweiz als Marke?

Das Schweizer Kreuz ist seit einigen Jahren omnipräsent. Auf Lifestyleprodukten, als Teil von Produkte- und Firmenlogos. Bekanntheitsgrad und Wiedererkennungswert sind wohl nahe bei 100 Prozent. Seine Verwendung als Lifestyle-Ornament auf T-Shirts, Taschen, Schuhen oder Design-Möbeln hat das Schweizer Kreuz aus dem nationalen und nationalistischen Kontext gelöst und zu einem hippen Zeichen gemacht. Diese ‘Neutralisierung’ machte die neue ‘Swissness’ möglich – die Verbindung von Lebensfreude, Coolness, Innovation und traditionellen Werten wie Natürlichkeit, hohe Qualität, Zuverlässigkeit. Anhand der Bereiche Wirtschaft, Politik und Staat wird illustriert, wie das Schweizer Kreuz als Zeichen in Marken, Markenstrategien und Markenkonzepten aktuell genutzt wird.

Dr. Lucia Reisch: Die “balance”-Markenstrategie: ein Experiment der Medialisierung der Nachhaltigkeit

Der Beitrag berichtet von einem Experiment, das im Herbst 2004 anläuft. Ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Konsumforschern, Medienwissenschaftlichen und Marketingexperten untersucht, ob sich das unscharfe und umstrittene Konzept des “nachhaltigen Konsums” durch eine professionelle massenmediale emotionsgeladene Kommunikations- und Trendsettingstrategie in der bundesdeutschen Bevölkerung verbreiten lässt. Dabei wird das Konzept “nachhaltige Konsumtion und Produktion” nicht als solches kommuniziert, sondern als lebensqualitäts- und lebensstilbildende Marke (“balance”). Es wird eine Sendung konzipiert, die wöchentlich bei einem nationalen Privatsender ausgestrahlt werden wird. Mit diesem Ansatz soll insbesondere schwierig zu erreichende Zielgruppen der Nachhaltigkeitsgleichgültigen oder -feindlichen erreicht werden. Weitere Instrumente zur Markenbildung sind eine serviceorientierte community-building Internetplattform, später auch Bücher, Lernsoftware etc. (www.balance.de). Das konsumtheoretische und verbraucherpolitische Forschungsinteresse liegt primär in der Frage, ob eine solche “Ausweitung der Markenzone” im Rahmen der Trendsettinginitiative “balance” bezüglich Wissen, Einstellungen und Handlungen erfolgreich sein kann, wie dies erklärbar ist und wie man “Erfolg” messen kann.

Dr. Christian Scheier/Kay Koschel: Die Marke als Schlüsselreiz. Aufmerksamkeit und Werbebotschaft

Die Schlüsselfunktion der Markenkommunikation ist es, Aufmerksamkeit für die Marke zu erringen, relevante Markenbotschaften und Markenargumentation zu vermitteln und ein klares und verständliches Markenbild beim Konsumenten zu verankern. Dieser Beitrag zeigt, wie in der Praxis Markenkommunikation ausgestaltet und wie mit marktforscherischen Mitteln die Aufmerksamkeitsleistung analysiert und die Wahrnehmung für die Marke optimiert werden kann.
Konkret werden folgende Themenkomplexe angesprochen: Gute Markenkommunikation bedeutet, die Marke in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Zielgruppe zu stellen. Folgende Fragen sind dabei zu beantworten: Warum ist Markenkommunikation wichtig? Was macht Markenkommunikation aus? Wie nimmt der Konsument die Marke wahr Betrachtungsdauer, Betrachtungsverhalten etc.)?
Die Marke lebt durch Kommunikation. Die kommunikative Ausrichtung bestimmt das Unternehmen und bestimmt über die Positionierung der Marke im Werbemittel. Bei der Ist-Analyse geht es dabei um folgende Fragen: Wo steht die Marke? Wo soll sie hin? Zur Beantwortung ist eine Definition des Markenkerns und eine Bestimmung des Markenwert nötig. Entscheidend ist die Umsetzung der kommunikativen Ausrichtung. Welches Markenimage/Markenbild wird mit welchen Mitteln angestrebt? Wie ist die Umsetzung in Bilder/Schlüsselreize? Welche Verkaufsargumente, Verbraucherversprechen, Produktpositionierung werden dargestellt?
Ohne definierte Kommunikationsziele lassen sich keine Kommunikationserfolge messen! Von daher muß geklärt werden, welche Werbeziele die Markenkommunikation hat, und wie der Werbeerfolg definiert wird. Ziel der qualitativen Kommunikationsanalyse ist es die kommunikative Wirkung der Werbemaßnahme zu verstehen und zu optimieren. Wie wird die realisierte Markenkommunikation von der Zielgruppe wahrgenommen und verstanden? Welche Learnings ergeben sich aus der Forschungspraxis? Wie sind die Folgen für die Markenkommunikation?

PD Dr. Dr. Helmut Schneider: Marken in der Politik

Die Marketingwissenschaft hat sich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der empirisch belegten verhaltenssteuernden Wirkung von Marken – in jüngster Zeit intensiv mit Fragen der Markenführung befasst. Unter Zugrundelegung eines wirkungsorientierten Markenverständnisses wird zunächst der Frage nachgegangen inwieweit Parteien und Politiker Markenstatus besitzen. Darauf aufbauend wird analysiert, welche Funktionen Marken in der Politik für den Wähler erfüllen und inwieweit Politikmarken vor diesem Hintergrund auch im politischen Kontext verhaltensbeeinflussend wirken, sprich Einfluss auf das Wahlverhalten ausüben. Auf Basis der empirisch nachgewiesenen Evidenz und Relevanz von Marken in der Politik wird anschließend ein handlungsorientiert-normatives Konzept zur Führung von Politikmarken entwickelt, das auf dem Konstrukt der Markenidentität basiert. Im Kern dieses Ansatzes steht die Korrespondenz von Selbst- und Fremdbild einer Marke, die maßgeblich für das Ausmaß der Identität einer Marke und damit für das ihr entgegengebrachte Vertrauen ist. Auf Grundlage einer spiegelbildlichen Befragung von Wählern und Parteimitgliedern wird dieses Modell der Markenführung mit empirischen Daten unterlegt.
Abschließend wird der Frage nachgegangen, in welchem Verhältnis ein solches Konzept der Markenführung zu demokratietheoretischen Konzepten steht.

Dr. Jochen Wagner: Commercium admirabile: Die Marke als Ikone?

Marken allerorten, von Kultmarketing, neuen Göttern des Marktes, der Wirtschaft des Unsichtbaren und dem spirituellen Mehrwert ist die Rede. Marken bzw. Markenlogos sollen in einer ausweglos absolut immanent verdichteten Welt Spaß, Glück aber auch letzter Trost transzendental Obdachloser sein. ‘Marke’ ist ein Begriff, ein Zeichen, aber was referiert das Signum als Res, was ist das Ding? Werden in der Spontaneität des alltäglichen Materialismus Dinge, Produkte, Artefakte, materiell wie immateriell, erlebt, konsumiert, benutzt, gebraucht, genossen, erlitten oder Marken bzw. Logos verinnerlicht und diskutiert? Wie verhalten sich die Intensitäten, Intimität, Passion, Glück, Leidenschaft, Hörigkeit, Sucht für ein ‘schönes Ding’ zu den Theorien und Diskursen über sie? Der akademische Überbau hegt gegenüber den mannigfaltigen Intensitäten des lebensweltlichen Unterbaus gern den Verdacht, dort gehe es verführt oder entstellt zu. Mit der These vom ‘Zwang der Marken’ bliebe den nichtwissenden Enthusiasten ihres Konsums immerhin das Glück authentischer Entfremdung anstelle des unglücklichen Selbstbewußtseins. Denken des Begriffs Marke ist nicht Erleben des Dings, Reflexion nicht Sensation. Was also passiert in Realpräsenz eines Marken-Dings? Was geschieht im material-ästhetischen, physiopsychischen Kontakt mit kulturellen Artefakten? Lässt sich in allzu massiven Kontexten merkantiler Entstellung des individuellen wie gesellschaftlichen Seins etwas Unentstelltes in der sinn-ästhetischen Kommun(ikat)ion mit dem ‘Ding’ ausmachen?
Es ist ja eher ein gefühltes, denn ein gewußtes Wissen, was da in Sammlung und Zerstreuung auswendig und inwendig eine sogenannte ‘Produktpersönlichkeit’ bildet. Etwas emphatisch für den alten Vertrag von Zeichen und Welt, Symbol und Ereignis formuliert, bezeugte der Fan eines Dings gegen die Agonie des Realen wirkliche Gegenwart, einen Unterschied von Präsenz oder Präsens und Interpretation, von Ereignis und Deutung, Sinnlichkeit und Hermeneutik. Kann dieser Aberwitz der seligen Intuition gegen die kolonialisierende Wucht entzaubernder Diskurse sich behaupten?
Zumal, wenn Marken(logos) an der Schnittstelle zur Materialität von Kommunikation als integrale, gar liturgische Momente eines ‘Kapitalismus als Religion’ behauptet werden? Wie vermögen soziale Artefakte als menschlich Gemachtes diesen Produktcharakter abzustreifen und als nichtgemachtes Übermenschliches verrätselt zur kultischen Anstiftung zu avancieren? Freiwillige Hingabe an den Reiz, das Schöne in Bewegung, meint ja nicht Andacht und Gehorsam vor einer Hypostase. Im einst christologisch beheimateten commercium admirabile tummeln sich Logos und Material, Profanes und Heiliges, Menschwerdung Gottes und Humanisierung der Ware, emanzipatorische Sinnlichkeit und neue Unmündigkeit. Marken, Ikonen, Simulakren, Phantasmgorien artifizieller Perfektibilität und Eucharistien mit Events – was versprechen, doubeln, legitimieren sie? Und was ist ihr Feedback auf unsere mittelmäßige Versehrtheit? Ein Lob auf das Ideal des Kaputten?

Claudia Zerjeski: Die Marke als Exportschlager? Zur Rezeption der Markenidee in der ehemaligen DDR

Im Konsumverhalten im Osten Deutschlands hat sich in den letzten Jahren eine Entwicklung bemerkbar gemacht, die m Rahmen des Beitrags näher erörtert werden soll: Wurden insbesondere in den ersten Jahren nach dem Mauerfall westliche Markenprodukte von den Bürgern der ehemaligen DDR begierig gekauft, so hat sich dies in der jüngeren Zeit zugunsten ehemaliger Produkte der DDR geändert. Heute sind in vielen verschiedenen Produktsegmenten Marken ostdeutscher Herkunft in den fünf Neuen Bundesländern marktführend bzw. unter den führenden Marken vertreten.
Doch wie verhält es sich nun mit den Ostmarken? Sind sie aus dem Nichts aufgetaucht oder waren sie vorher schon da? Waren sie bereits vor 15 Jahren das, was sie heute darstellen – und wenn nicht, wie konnten sie zu dem werden, was sie heute sind? Im Rahmen des Beitrags werden Überlegungen hierzu im Vordergrund der Betrachtung stehen. Als Einstieg in diesen Fragekomplex wird zunächst ein Überblick über die Markentradition der DDR vor der Wende, nach der Wende gegeben. Darauf basierend wird der Versuch unternommen, die beschriebenen Differenzen bzgl. der Markenwahl in den alten Bundesländern näher zu erläutern, um abschließend eine Antwort auf die Frage geben zu können, ob man bzgl. der Historie der Ostmarken von einer Rezeption im Sinne einer Aufnahme oder im Sinne einer Übernahme der Markenidee sprechen kann.

Referentinnen und Referenten:

Kai-Uwe Hellmann, PD Dr., Berlin/Essen, Politikwissenschaft, Soziologie
Dieter Herbst, Prof. Dr., Berlin, Soziologie, Publizistik, Kommunikationswissenschaft
Klaus Klemp, Dr., Frankfurt/M., Kunstgeschichte, Design, Philosophie
Stefan Klingelhöfer, Dr., Frankfurt/M., Soziologie
Kay Koschel, Hamburg, Sozialwissenschaften
Fabian von Loewenfeld, Mainz/Düsseldorf, Wirtschaftswissenschaft
Klaus Merten, Prof. Dr., Münster, Kommunikationswissenschaft
Elio Pellin, Bern, Philosophie, Literaturwissenschaft
Rüdiger Pichler, Prof., Wiesbaden, Kommunikationsdesign
Lucia Reisch, Dr., Stuttgart, Konsumökonomik
Elisabeth Ryter, Bern, Geschichte, Soziologie
Christian Scheier, Dr., Hamburg, Psychologie
Helmut Schneider, PD Dr. Dr., Münster, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft
Jochen Wagner, Dr., Tutzing, Systematische Theologie, Philosophie
Claudia Zerjeski, Hamburg, Soziologie